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Zu Gast im Geisterhof Zu Gast im Geisterhof
 

 • Die Ankunft
 • Der Nachbar
 • Paranoia
 • Zu spät
 • Souvenir
 • Der weiße Tod
 • Bettlägerig
 • Das hohle Haus

Autor dieser Szene: Volker Pietsch
 

Das hohle Haus

Eine Tür wird geöffnet und wieder geschlossen. Sanfte Schritte auf Teppich. Das Rascheln einer Decke.

Tom: Eireen! Endlich!
Eireen: Tom, was ist denn? Du bist ja völlig verstört!
Tom: Noch länger konntest du wohl nicht wegbleiben?
Eireen: Ich war noch in der Unternberger Bibliothek. Sieh' mal ...
Tom: Hol' mich erst aus diesem Zimmer!
Eireen: Was ist denn passiert?
Tom: Diese Geräusche. Immer wieder. Dann wieder lange nichts. Und dann war es wieder da. Irgendwas hinter den Wänden. Schritte. Kratzen. Atmen. Von allen Seiten des Raums. Und von unter dem Fußboden.
Eireen: Tom, Tom, beruhige dich!
Tom: Beruhigen? Wer mußte sich das die ganze Zeit über anhören? Ich will hier raus! Ich verstehe jetzt sehr gut, warum dieser Akkermann durchgedreht ist!
Eireen: Jetzt hör' dir erst mal an, was ich hier kopiert habe. Ich glaube nämlich, das ist die Lösung. Es ist ganz simpel!
Tom: Also schön, dann leg' endlich los!
Eireen: Hast du dich nicht mal gewundert, warum so ein exklusives Hotel mitten in so einem Bergkaff steht?
Tom: Na ja, ich denke, der Tourismus ...
Eireen: Ein sehr wohlhabender Industrieller hat das Hotel während des Zweiten Weltkriegs bauen lassen. Aber er rechnete zu dieser Zeit bereits mit einer Niederlage. Und für diesen Fall hatte er vorgesorgt: Das Haus ist ein architektonisches Meisterstück!
Tom: So sieht es aber nicht aus.
Eireen: Der Schein trügt. Das Haus hat nicht nur einen doppelten Boden. Es hat sozusagen ... Na ja ... Alles, was wir sehen, das ist wie eine zweite Haut. Es ist alles hohl. Hinter den Wänden verlaufen schmale, geheime Gänge. Dadurch konnte der Mann durch seine Angestellten seine Gäste abhören lassen. Und das waren oft hochgestellte Militärs. Auf diesem Wege erhielt er unermeßliche private und dienstliche Informationen. Damit wollte er sich bei einer Wende des Krieges an die Gegner wenden, um sich freizukaufen. Und unter dem Hotel ist ein riesiges Bunkersystem, das labyrinthartige Ausmaße annehmen soll. Darin hatte er Unmengen von Lebensmitteln und anderen Artikeln gehortet.
Tom: Und laß mich raten, sein Geist spukt heute in den Geheimgängen des Hotels herum.
Eireen: Hm, kaum. Sein Geheimnis wurde 1945 entdeckt und er wurde verhaftet. Aber bevor man über sein Schicksal entschieden hatte, war der Krieg auch schon vorbei. Na ja, und dann ging er bald darauf nach Südafrika und vermachte das Hotel dem Mann, der vor Ort schon die Bauarbeiten beaufsichtigt hatte: Einem Herrn Pfandler.
Tom: Pfandler? Den Namen kenn' ich doch irgendwoher ...
Eireen: Allerdings: Pfandler war der Vater unseres Wirts.
Tom: Hm ... Und die Geräusche, die ich gehört habe?
Eireen: Ich habe da etwas entdeckt in einem Abstellraum: Rattengift.
Tom: Ratten? Diese gräßlichen Töne sollen von Ratten gewesen sein? Also ... Ich weiß nicht ...
Eireen: Na, deshalb hat unser Wirt uns auch nichts von den Gängen erzählt! Er ist vom Tourismus abhängig und seine Geschäfte gehen ohnehin schon schlecht! Ratten kann er sich da nicht auch noch leisten!
Tom: Aber Akkermann hätte er es erzählen müssen, verdammt noch mal! Wo ist der saubere Pfandler junior jetzt?
Eireen: Er muß in den Ort gefahren sein. Und ich werde jetzt nach Brandau fahren, zur Nervenklinik. Ich muß das ganze Herrn Akkermann erklären! Und seinen Ärzten!
Tom: Ja, das mußt du.
Eireen: Und du kannst dich in der Zwischenzeit mit den anderen Texten hier auseinandersetzen, die ich kopiert habe!

Tom blättert in Seiten.

Tom: Was ist denn das? Griechische Sagen?
Eireen: Oh ja, der Glaube von Greifvögeln, die Kinder rauben, hat eine lange Tradition. Das ist keine eigene Erfindung von Frau ... Wie hieß die noch mal?
Tom: Ich glaube, Zörbiger, hat der Alte gesagt.
Eireen: Ja, da gab es zum Beispiel schon im antiken Griechenland die sogenannten Harpyien. Das waren Frauen mit Flügeln und Vogelklauen. Bei Sturm und Finsternis stürzten sie sich vom Himmel auf ihre Opfer. Und stell' dir vor: Dieser Glaube scheint einen wahren Kern zu haben. Es soll tatsächlich vereinzelte Fälle gegeben haben, in denen Raubvögel menschliche Babys entführt haben. Hier sieh mal da ...
Tom: "Fachbuch der Kryptozoologie"?
Eireen: Ja, da steht, daß einmal ein Kondor sogar ein fünfjähriges Mädchen davongetragen hat.
Tom: Ist ja gut möglich, aber hier sind auch Erwachsene verschwunden. Und die Steinadler, die es hier gibt, sind nicht so groß wie Kondore. So kräftige Vögel kann es nicht geben ...
Eireen: ... sagte der Mann, der mit Nessie um die Wette geschwommen sein will.
Tom: Ich bin ... Kein Kommentar.
Eireen: Lies es durch. Ich beeile mich. Brandau ist allerdings ein Stückchen weg.

Die Tür quietscht. Eine kurze Pause.

Tom: Ist noch was?
Eireen: Zwölf.
Tom: Wie bitte?
Eireen: Zwölf Leute waren noch in dem Bus.
Tom: Eireen ...
Eireen: Ich hab' sie gerade noch mal zusammengezählt. Der Busfahrer. Der Reiseleiter, von dem du gesagt hast, er sähe so aus wie mein Onkel Richard. Das junge Liebespaar, macht vier. Der kleine ...
Tom: Worauf willst du hinaus?
Eireen: Weißt du, das Schlimme ist: Wir hatten so viele außergewöhnliche Todesfälle, über die wir berichtet haben. Und diese Lawine war eine ganz ordinäre, furchtbare Naturkatastrophe. Und ich kann niemandem die Schuld dafür geben.
Tom: Eireen, ich habe erfolgreich versucht, nicht daran zu denken.
Eireen: Das funktioniert gut bei dir. Irgendwo hast du so eine kleine Gießerei in dir, nicht wahr?
Tom: Was? Schätzchen, du faselst.
Eireen: Trauer und ... Liebe ... und so weiter werden bei dir umgeschmolzen in Sarkasmus und ab und zu ein bißchen Wut.
Tom: Jetzt komm mir nicht so ... Kümmer' dich lieber um diesen Akkermann. Der ist nämlich noch am Leben und braucht deine Hilfe. Es ist bestimmt kein Spaß, in der Klapsmühle zu schmachten. Der Mann verliert noch wirklich seinen Verstand!
Eireen: Schon gut.

Die Tür schließt sich.

Tom: (atmet lange aus)

Musik

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Fortsetzung:

 Das Geschöpf unter der Treppe

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© Die Gruselseiten (05. Mai 2001)