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Zu Gast im Geisterhof Zu Gast im Geisterhof
 

 • Die Ankunft
 • Der Nachbar
 • Paranoia
 • Zu spät
 • Souvenir
 • Der weiße Tod
 • Bettlägerig
 • Das hohle Haus
 • Das Geschöpf unter der Treppe
 • Und wenn er kommt?
 • Gastwirt des Grauens

Autor dieser Szene: Volker Pietsch
 

Gastwirt des Grauens

Eine Tür öffnet sich. Sturmwind fegt kurz und kräftig durch die leere Empfangshalle des Hotels. Die Tür wird wieder geschlossen. Eireens Schritte. Draußen heult der Wind.

Eireen: Hallo? Herr Pfandler?

Pause.

Wirt: (wimmert unterdrückt und für seine Stimme unnatürlich hoch)
Eireen: Wo sind Sie? (erschrocken) Aahh!
Wirt: (stöhnt und wimmert)

Man hört, wie sich der Schutt bewegt, in dem er sich windet.

Eireen: Herr Pfandler! Was ist passiert!
Wirt: (mühsam) Der Fahrstuhl ist abgestürzt.
Eireen: (ruft) Tom? Wo ist Tom? Ich ziehe Sie aus den Trümmern!
Wirt: Nein, es tut zu weh.
Eireen: Tom!
Wirt: Er hat ihn ... Er hat ihn geholt.
Eireen: Wer? Jetzt sagen Sie endlich, was hier vorgeht!
Wirt: Es tut so weh.
Eireen: Ja, natürlich, ich rufe einen Arzt.

Schritte. Sie hebt den Telefonhörer ab, betätigt die Drehscheibe. Noch einmal.

Eireen: Das Telefon ist tot.
Wirt: Ja? Das war ja klar! (Sein Lachen erstickt in Husten.)
Eireen: Sie husten ja Blut.
Wirt: (lachend) Ja, ja, ich sterbe ja auch. Ich hoffe, ich sterbe, bevor er zurückkommt und mich erwischt.
Eireen: Herr Pfandler, ich war in Brandau ...
Wirt: Ich weiß. Haben Sie meine Frau von mir gegrüßt? Sie hat sich leider aus der Verantwortung gestohlen. Hat mich im Stich gelassen. Das war schon immer so. Hat immer nur geflennt. Als ich Joseph -
Eireen: Joseph, das war ihr Sohn, nicht wahr? Was haben Sie mit ihm gemacht?
Wirt: Joseph ... Joseph war seit seiner Geburt ... anders. Nein, nicht einfach nur anders. Er sah erschreckend aus. Wir, meine Frau und ich, haben allen Leuten damals gesagt, er sei bei der Geburt gestorben. Und dann haben wir ihn zuhause versteckt. Wir dachten zuerst, er würde bestimmt nicht alt werden, so krank und tot, wie er aussah. Aber er war kräftig. Er wurde älter und älter und er war überraschend stark für sein Alter. Eines Abends, er war etwa drei Jahre alt, hat er die Tür seines Zimmers aufgebrochen. Und da kam er in den Biergarten hinaus. Die Gäste saßen da und starrten ihn an und schrien auf, als sie ihn sahen. Einer mußte kotzen. So etwas durfte nie wieder passieren.
Eireen: Sie haben ihn getötet, nur weil ihre Gäste ihn nicht sehen sollten?
Wirt: Ich mußte meine Frau erst überzeugen. Sie hat mich angeschrien, sie würde mich bei der Polizei anzeigen, wenn ich ihm etwas antäte. Aber unsere Geschäfte standen schlecht und schließlich, nach etwa einem Jahr begriff sie endlich, daß wir uns nicht auch noch so etwas leisten konnten.
Eireen: So etwas? Das war ein Mensch! Ein kleines Kind! Ihr Sohn, der nur zufällig anders aussah als die anderen Kinder! Und Sie haben ihn getötet, weil Sie an das Geld dachten!
Wirt: Ich habe ihn ... nicht getötet. Das konnte ich nicht. Ich habe ihn hinab in den Bunker unter dem Hotel geschickt. Und dann habe ich die Luke über ihm zugemacht und versiegelt.
Eireen: Ach, wie überaus zartfühlend von Ihnen! Der kleine Kerl hat sich in der Finsternis da unten zu Tode gefürchtet. Er ist weinend durch die Dunkelheit geirrt und dann langsam verhungert!
Wirt: Nein, das ist er eben nicht! Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat. Es grenzt an ein Wunder. Er war robust. Das Weinen hörte und hörte nicht auf. Zum Glück war gerade keine Saison und kein Gast kriegte es mit, aber meine Frau wurde verrückt darüber und ich auch. Aber er starb einfach nicht.
Eireen: Ich will nicht wissen, von was für unsagbaren Dingen er sich dort unten ernährt hat.
Wirt: Von verdorbenen Überlebensrationen, die dort schon so lange lagerten. Von Insekten und Würmern. Und von unserem Abwasser. Und dann die Ratten. Wahrscheinlich haben sie ihn angegriffen. Und kräftig wie er war, hat er sich gewehrt und vielleicht eine von ihnen getötet. Ich denke, so ist er auf den Geschmack gekommen.
Eireen: Wie entsetzlich! Der arme Junge muß da unten den Verstand verloren haben.
Wirt: Das Weinen hat irgendwann aufgehört und wir dachten schon, nun ist es endlich vorbei. Aber dann kurz darauf, hörten wir ihn hinter unser Schlafzimmerwand. Und dann an immer anderen Orten des Hotels. Offensichtlich lernte er, sich zu orientieren. Es dauerte nicht lange, dann begann meine Frau darüber völlig den Verstand zu verlieren. Sie wurde untragbar für das Hotel, sie erschreckte die Gäste und ich ließ sie einweisen. In Brandau hielt man ihre Geschichte für die Ausgeburt eines kranken Geistes. Und die Leute aus Unternberg wußten nichts oder mischten sich nicht ein. Das ist jetzt zwölf Jahre her. Vor acht Jahren kam Joseph dann das erste Mal an die Oberfläche und fiel einen Gast an. Ein anderes Kind. Damit das Ganze nicht rauskam, mußte ich ihm die Eltern noch am selben Tag ebenfalls opfern.
Eireen: All die Touristen, die hier verschwunden sind ...
Wirt: Die Polizei hat sich nie für die Geschichte des Hotels interessiert. Sie erfuhren nichts von den geheimen Anlagen und schöpften keinen konkreten Verdacht, weil ich das Gepäck meiner Gäste immer auslieferte. Ich habe an ihrem Tod nichts verdient. Aber ich konnte sie auch nicht schützen. Ich konnte Joseph nicht noch einmal töten. Er war immer noch mein Sohn.
Eireen: Auf einmal Skrupel, das kaufe ich Ihnen nicht ab.
Wirt: (lacht dreckig) Sie haben recht. Er ist einfach zu schnell. Das Innere meines Hotels ist sein Reich. Unmöglich, ihn zu erwischen. Er findet sich besser zurecht als ich. Und die Bunkeranlagen dort unten sind ein Labyrinth. Niemand, der dort unten mit ihm allein ist, überlebt das. Ich habe versucht, ihn langsam mit Rattengift zu erwischen. Aber er ist mir über. Er fing an, mich anzugreifen. Ich dachte bis dahin, daß er mich verschont, weil er mich erkennt. Dann kamen Sie beide hier an. Schnüffler von der Presse. Und ich habe Sie in die Zimmer neben Akkermann gesteckt, damit er so schnell wie möglich auf Sie aufmerksam wird und Sie erledigt.
Eireen: Wo ist Tom?
Wirt: Sein Appetit ist gewachsen. Akkermann hat er erst gestern geholt. Dann hat er mich angegriffen. Und heute ...
Eireen: Tom! Was ist passiert, sagen Sie es sofort, sonst ...
Wirt: Er hat ihn verschleppt. Genau wie alle anderen, in die Gewölbe unter dem Erdboden. Ich glaube nicht, daß er noch lebt!
Eireen: Ich werde jetzt die Polizei holen und wenn Tom etwas passiert ist, dann werde ich Sie persönlich -
Wirt: Was? Ha, ha, was wollen Sie machen? Kommen Sie, Sie müssen sich beeilen. Sonst sterbe ich vorher. Ich spüre es. Jeden Moment ... (sein Lachen geht wieder in einen Hustenreiz über, das Husten wird zu einem Würgen und zu verzweifelt angestrengtem Einatmen, dann verstummt es.)
Eireen: Pfandler! Wo ist der Eingang zum Bunker? Pfandler! Verdammt, er ist tot. Tom! Hilfe, ich muß Hilfe holen.

Sie läuft zur Tür, reißt sie auf, läuft durch den Sturm über Schnee, schließt das Auto auf, reißt die Wagentür auf- und zu und läßt den Motor an. Sie fährt los, das Radio piept und springt an.

Radiosprecher: Eine Verkehrsmeldung: Durch ein weiteres Lawinenunglück wurde die Zufahrtsstraße zwischen Unternberg-Dorf und der Klemme verschüttet. Gäste und Personal des Hotels auf der Klemme müssen sich auf eine längere Wartezeit einrichten, da die Prioritäten des Katastrophendienstes momentan auf der Suche nach Wintersportlern liegen, die im Katastrophengebiet unterwegs waren. Dies ist am heutigen Tag schon die zweite Lawine; bei der ersten wurde ein Bus mit Touristen ...
Eireen: Nein! Nein! Nein! Das ist nicht fair! (kämpft mit Tränen. Entschlossen:) Na schön. Also ich allein. Ich komme, Tom.

Sie stellt den Motor aus.
Musik

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Fortsetzung:

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© Die Gruselseiten (11. August 2001)