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Zu Gast im Geisterhof Zu Gast im Geisterhof
 

 • Die Ankunft
 • Es ist Nacht
 • Auf zum Schloss
 • Es spukt
 • Das Zimmer 9
 • Die Geisterstunde
 • Ein neuer Morgen
 • Im Dorf

Autor dieser Szene: Karsten Sommer
 

Im Dorf

Ein sonniger Tag in einem alpinen Dorf. Fahrzeugverkehr. Ein Türglöckchen klingelt.

Eireen: Hach, da bin ich aber froh, dass ich eine Kleinigkeit für meine Mutter gefunden habe. Ich dachte schon, wir müssten ewig suchen.
Tom: Mir kommt es schon wie eine Ewigkeit vor. War es nicht gestern, als wir uns vornahmen, ins Dorf zu fahren?
Eireen: Blödmann. Du hast auch kein bisschen Geduld. Solche Sachen müssen gut ausgewählt sein. Da kauft man nicht irgendeinen Plunder.
Tom:(lacht) Wie bitte? Und du meinst, dass dieser Wurzelsepp kein Plunder ist? Eireen, Schätzchen, ich bitte dich. Das ist ja wohl der billigste Schund, den man neben einem Plastikmodell von Schloss Moosham kaufen kann.
Eireen: Hab' ich den Kleinen für dich oder für meine Mutter gekauft? Hör' gefälligst auf zu meckern.

Tom rennt eine Frau um.

Alte Frau: Auaaa.
Tom: Aaaah, verdammt und zugenäht.
Eireen: Tom, pass doch auf! Du hast die alte Frau umgerannt!
Tom: Ja, was steht die denn auch hier rum.
Eireen: (flüstert) Tom Fawley, reiß dich am Riemen!
Alte Frau: Gib' halt acht, unverschämter Kerl.
Tom: Entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht gesehen. Ich helfe Ihnen auf.
Junge Frau: (nähert sich) Großmutter, ist dir was passiert? Hast du dir weh getan?
Alte Frau: Umg'rannt hat er mich, der umverschämte Kerl.
Tom: Ich hab' sie eben nicht gesehen. Sie ist ja auch ziemlich klein. Wie kann man so eine alte Frau auch alleine herumrennen lassen. Sie könnte ja überfahren werden!
Eireen: (zischt) Halt' die Klappe, Tom! (zur jungen Frau) Es tut uns sehr leid, dass das passiert ist. Wir hoffen, Ihre Großmutter ist nicht verletzt.
Junge Frau: Sie ist ja gar nicht meine Großmutter. Jeder kennt sie und jeder nennt sie hier so. Ich glaube, sie ist älter als das ganze Dorf.
Alte Frau: Einfach umg'rannt hat er mich.
Junge Frau: Ja, Großmutter. Soll ich dich nach Hause bringen. Wär's dir recht?
Eireen: Falls Kosten entstehen, kommen wir selbstverständlich dafür auf.
Tom: Wie bitte?
Junge Frau: Ich glaub' nicht. Die Großmutter ist noch recht robust.
Eireen: Wir wohnen oben im Gasthof. Sie können uns dort erreichen. Fox und Fawley ist unser Name.

Schaurige Musik setzt im Hintergrund ein.

Alte Frau: (zischt) Im Gasthof?! Neeeiiin, im Geisterhof wohnts ihr beiden. Nachts geht's um, das arme Ding. Niemand hat's arme Ding je wieder gesehen. Fort war sie. Fort genommen ist sie. Der Zorn hat ihm immer im Aug' gestanden. Eifersüchtig ist er gewesen, ja eifersüchtig. Bis sie ihn gefunden hab'n. Da war's vorbei mit ihm. An einem Freitag war's. Grau waren die Haare und grau sein Gesicht. Mit aufgerissenen Augen hab'n sie ihn gefunden. Des Madl war heimkommen. Wartets nur, euch werdens auch noch finden. Mit den Augen. Wartets nur.
Junge Frau: Aber Großmutter, was erzählst du denn für Gruselgeschichten. Erschrick' doch nicht die Leute. Entschuldigen Sie bitte. Sie ist schon etwas wunderlich. Komm, Großmutter. (geht weg)
Tom: Warten Sie bitte mal! Hallo, Sie!
Eireen: (flüstert ängstlich) Tooom? Hast du das gehört?
Tom: Ich bin ja nicht taub! Aber was sie gesagt hat, macht keinen Sinn.
Eireen: (flüstert) Im Geisterhof, hat sie gesagt. Oh Tom, mir läuft es eiskalt den Rücken runter. Und uns werden sie auch finden, hat sie gesagt.
Tom: Sei' doch gerade mal still, zum Kuckuck.
Junge Frau: Ja, bitte?
Tom: Entschuldigen Sie bitte, unser Deutsch ist nicht so gut. Wir haben da noch ein paar Fragen. Wir sind Reporter aus London, und uns interessiert, was die alte Frau gesagt hat. Wie war das mit dem Geisterhof?
Junge Frau: Ach, lassen Sie sich davon nicht ins Bockshorn jagen. Das alte Gasthaus hat Ewigkeiten leer gestanden. Schon bevor ich geboren wurde. Unsere Großeltern haben uns immer die gruseligsten Geschichten über das alte Haus erzählt. Nur, damit wir nicht dort spielen und uns den Hals brechen.
Eireen: Was für Geschichten waren das?
Junge Frau: Der alte Gasthof war vor etwa 100 Jahren ein sehr bekannter und sehr frequentierter Hof. Viele Leute sollen dort zur Nacht eingekehrt sein, bevor sie ihre beschwerliche Reise zum nächsten Ort fortgesetzt haben. Damals war diese Gegend noch nicht so kultiviert. Alles war wild und uneben. Viele Wald- und Bergarbeiter sollen in dem alten Hof viele Taler gelassen haben.
Tom: Also verdiente der Besitzer viel Geld?
Junge Frau: Einen ordentlichen Batzen. Der Gasthof liegt an einer alten Reiseroute und die Schänke soll jede Nacht gerammelt voll gewesen sein. Ein alter Knauser soll er gewesen sein, der Tobias. Und jähzornig. Viele Gäste soll er aus seiner Wirtschaft geprügelt haben.
Eireen: Und die Leute kamen trotzdem?
Junge Frau: Es waren halt rauhere Zeiten, damals. Die Leute wollten nach der harten Arbeit zerstreut werden. Und viele sollen nur wegen der schönen Klara gekommen sein. Obwohl der Tobias sie auch oft verprügelt haben soll.
Eireen: Die schöne Klara?
Junge Frau: Ja! Die schöne Klara wurde sie genannt. Wohl weil sie eine beeindruckende Schönheit gewesen sein soll. Keiner wusste, warum dieses aufrichtige und anständige Mädel mit dem furchtbaren Tobias verheiratet war. Manche glaubten, er habe sie von ihren armen Eltern gekauft. Verliebt hätte sich ja wohl keine in ihn. Dafür sei er auch vom Charakter zu hässlich gewesen. Der Geiz, der Jähzorn und der Neid habe sich in seinem Gesicht widergespiegelt. Armes Madel. Viel Leid muss sie in den Jahren ihrer Ehe erfahren haben und trotzdem sei sie jeden Abend in der Schänke gewesen und habe für jeden noch so üblen Kerl ein Lächeln übrig gehabt.
Tom: Warum stand dann der Gasthof so viele Jahre leer, wie Sie sagen?
Junge Frau: Nun, eines Tages war die schöne Klara nicht mehr da. Keiner wusste, wo sie hingegangen oder was mit ihr geschehen war. Der Tobias habe lautstark über die Klara geschimpft und geschrien, dass sie mit irgendeinem Dahergelaufenen auf und davon sei. Keiner habe das so recht glauben, aber voll und ganz verstehen können. Jeden Abend habe der Tobias auf die schöne Klara geschimpft und des Nachts sollen ihn die Gäste weinen gehört haben. Mit der Zeit seien die Wald- und Bergarbeiter ausgeblieben, weil die schöne Klara nicht mehr da war. Sie sei das Einzige gewesen, an dem sich die Männer allabendlich haben erfreuen können.
Tom: Aber da waren doch noch die Reisenden oder nicht?
Junge Frau: Später habe man gemunkelt, dass es in dem alten Hof nicht ganz geheuer sei und der furchtbare Tobias sei mehr und mehr wunderlich geworden. Habe angefangen, mit sich selber zu sprechen. Viele haben gemeint, dass er mit der schönen Klara gesprochen habe. In dieser Zeit waren die Leute sehr abergläubisch und keiner wollte mehr in diesem Gasthof übernachten.
Eireen: Kein Wunder.
Junge Frau: (lacht zustimmend) Ja, das ist wahr. Später habe man sich erzählt, dass der Tobias des Nachts laut geschrien habe. Manchmal habe er laut geweint und gewimmert. Dann habe man ihn nicht mehr gesehen.
Eireen: Er war auch verschwunden?
Junge Frau: So hatte man geglaubt. Die Leute seien neugierig geworden und zum Gasthof gegangen. Viele sollen gehofft haben, einen Batzen Silbertaler zu finden. Alles soll voll Staub und Spinnweben gewesen sein, der Tobias soll keinen Handschlag mehr getan haben. Man habe auch die oberen Zimmer durchsucht, um die Taler zu finden. In seinem Zimmer soll er dann gefunden worden sein.
Eireen: War er ...?
Junge Frau: Im Bett sollen sie ihn gefunden haben. Abgemagert bis auf die Knochen sei er gewesen, seine Haare und sein Gesicht sollen alt und grau gewesen sein. Krampfhaft soll er die Decke zu seinem Gesicht gezogen haben und soll sich so in die Decke gekrallt haben, dass das Laken mit Blut getränkt war. Die nackte Angst soll in seinen Augen gestanden haben und vor lauter Angst soll er sich in die Bettdecke verbissen haben. Zum Fenster soll er gestarrt haben, als ob er Angst gehabt hätte, dass etwas zum Fenster reinkommt.
Eireen: (schaudert) Mir läuft's eiskalt den Rücken herunter.
Tom: Das ist ja eine Tragödie. Danach hat niemand mehr den Gasthof übernommen? Hatte der Tobias sonst keine Familie?
Junge Frau: Doch. Ein Vetter ersten Grades soll in den Gasthof eingezogen sein, soll sich alles fein zurechtgemacht haben. Viele wollen gemeint haben, dass er nur auf die Silbertaler aus gewesen sei. Drei Tage soll er es in dem Gasthof ausgehalten haben. Nachts habe man ihn schreiend weglaufen sehen. Er sei nie wieder zurückgekommen.
Eireen: (flüstert) Den Wunsch hab' ich auch.
Tom: (zischt) Reiß dich doch mal zusammen, Eireen.
Junge Frau: So blieb der Gasthof leer. Viele Wanderer wollen des nachts im Vorbeigehen ein Wimmern gehört haben und seien eiligen Schrittes weitergezogen. Der Gasthof wurde zum Geisterhof und die wahre Geschichte wurde zur schaurigen Gute-Nacht-Erzählung für die Kleinen. So habe ich auch von der Geschichte erzählt bekommen.
Tom: Und keiner hat je irgendwas gesehen oder gehört?
Junge Frau: Aber natürlich nicht. Die Bezeichnung 'Geisterhof' ist doch nur von den abergläubischen Dorfbewohnern erfunden worden. Letztendlich ist und bleibt es nur eine tragische Geschichte.
Tom: (fröhlich) Eine phantastische Geschichte!
Eireen: Eine grauenvolle Geschichte. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich noch einen Schritt in diesen Geisterhof mache.
Tom: Eireen, sei doch mal ruhig.
Eireen: (bissig) Hast du Tomaten auf den Ohren? Ich will hier weg.
Tom: Wie lange betreibt denn der neue Wirt den, wie sagten Sie, Geisterhof?
Junge Frau: Ein gutes halbes Jahr, denke ich.
Eireen: Waaas? Schon ein halbes Jahr? Der Mensch muss ja taub sein.
Junge Frau: Wäre er aus unserem Ort, hätte er den alten Hof bestimmt nicht gekauft.
Eireen: Er ist nicht von hier?
Junge Frau: Aber nein. Der spricht doch auch ganz anders. Ich glaube, der ist aus dem süddeutschen Raum. Bayerische Alpen oder so.
Tom: Ein komischer Zeitgenosse.
Junge Frau: Ja, irgendwie. Ich weiß auch nicht.
Eireen: Vielleicht hat er was auf dem Kerbholz?
Junge Frau: Wer weiß. Oh Gott, wie spät es schon ist. Jetzt hab' ich mich aber wirklich verplappert und muss mich sputen. Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen. Und schönen Urlaub noch. (entfernt sich rasch)
Tom: Ja, vielen Dank und ich wollte ... na, was auch immer. Weg ist sie.
Eireen: Und ich gleich auch, Tom, wenn du nicht auf der Stelle mit mir verschwindest.
Tom: Aber Eireen, das ist doch der Beweis dafür, dass es in dem Gemäuer nicht spukt.
Eireen: Was? Wie bitte? Ich glaube, ich hab' mich gerade verhört. Die Geschichte untermauert doch die Tatsache, dass es in diesem Haus von Geistern nur so wimmelt. Hast du denn nicht zugehört?!
Tom: Oh doch, und zwar ganz genau. Diese Geister sind die pure Einbildung der abergläubischen Landbevölkerung. Alles von Mund zu Mund weitererzählt und hinzugefügt und weggelassen.
Eireen: Und wie, du Schlaumeier, erklärst du dir dann das Wimmern, und die Frau am Fenster und den Kerl in der Schänke? Glaubst du etwa, dass das alles Einbildung war?
Tom: Irgendetwas muss unserer Phantasie einen Streich gespielt haben. Und ich bin davon überzeugt, dass der Wirt seine Finger da mit im Spiel hat. Wie sonst sollte es der Kerl denn schon ein halbes Jahr dort aushalten können, wenn das alles wahr wäre? Anders kann ich es mir nicht erklären.
Eireen: Der Wirt? Aber warum sollte er seine eigenen Gäste vertreiben wollen?
Tom: Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hat er ja Dreck am Stecken. Und genau das werden wir heute herausfinden!
Eireen: Herausfinden? (zähneknirschend) Tooooom, hast du mich nicht verstanden?!
Tom: Was soll ich verstanden haben?
Eireen: Ich will hier weg!
Tom: Aber, Eireen, wir sind doch Reporter und wir müssen ...
Eireen: (zischt) Gar nichts müssen wir! Tom, ich habe Todesangst! Wenn du nicht auf der Stelle mit mir zum Gasthof fährst und unsere Sachen packst, dann schwöre ich dir, dass du mich nie wiedersiehst!
Tom: Du meinst das ernst?!
Eireen: Todernst!

Musik

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Fortsetzung:

 Rückkehr zum Geisterhof

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© Die Gruselseiten (27. April 2005)