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Dracula und Frankenstein, die Blutfürsten (2) Stein, Dr.
 
Sprecher Hans Paetsch
Markante Textbeiträge "Der Mensch, der in meinem Labor enstanden ist, wird über Fähigkeiten verfügen, die alles übertreffen, was sich die Menschen heute vorstellen können."
"Wir brauchen die Mitarbeit der Presse, wenn wir das Ergebnis unserer Forschungsarbeit auf der ganzen Welt bekannt machen wollen."
"Hinaus! Ich kümmere mich um die Wahnsinnige. Sie verlassen das Labor! Sofort!"
"Mir können Sie nicht mehr helfen! Es ist zu spät! Das Monster - Ahh-ah!"
Zur Person Irgendwann im 18. Jahrhundert stirbt Victor Frankenstein auf einem Schiff im Nordpolarmeer an Erschöpfung. So steht es bei Mary Shelley. Doch stimmt das wirklich? H.G. Francis weiß es besser, und so lebt Frankenstein noch in den 1970er Jahren unter dem minimalistischen Pseudonym Dr. Stein auf Schloß Mordabrunn, irgendwo in der transsylvanischen Provinz. Wie hat Frankenstein so lange überleben können? Es ist ja eigentlich müßig, den "Blutfürsten" mit Logik beikommen zu wollen, aber man könnte sich vorstellen, daß Frankenstein alle paar Jahrzehnte mit seinem Gehirn einen kleinen Körpertausch vornimmt - schließlich hat auch sein (selbsternannter) Sohn Roland im Monster-Labor ähnliches versucht. Letztlich könnte so Frankensteins Postulat aus dem Hammerstreifen "Frankensteins Rache", in dem der Doktor selbst erstmals den Körper wechselt, Wahrheit werden: "Ich bin unsterblich."
Nun lebt unser mad scientist also mit neuem Namen in einem neuen Land - und ist doch ganz der alte: Unterstützt von Dr. Finistra, bastelt er an einem künstlichen Menschen, und kurz vor der Fertigstellung ist er sich seiner Sache so sicher, daß er Tom Fawley und Eireen Fox zu sich einlädt, um durch ihre Berichte Weltruhm zu erlangen; tatsächlich ist Tom - selbst nach Frankensteins Enttarnung - beeindruckt: "Dr. Frankenstein ist ein Genie."
Leider hat der Doktor die Rechnung ohne die "Wahnsinnige" Finistra und seinen Mitbewohner Graf Cula gemacht, deren privater Kleinkrieg alle seine Versuche, sich als seriöser Wissenschaftler darzustellen, scheitern läßt. Finistra verschafft dem Homunculus nämlich Kopf und Hand des untoten Hemator. Das sabotiert nicht nur die Lebensfähigkeit des Monsters, sondern ruft auch den inzwischen ebenfalls geouteten Obervampir Dracula auf den Plan, der seinen gemeuchelten Erlöser Hemator rächen will.
Innerhalb dieses Chaos wird Frankensteins Rolle zunehmend undurchsichtiger. Die nach einer Attacke Draculas völlig durchgeknallte Finistra stirbt während einer Untersuchung durch Frankenstein: "Sie ist plötzlich - zusammengebrochen." Wenn er da mal nicht ein wenig nachgeholfen hat ... Dann holt er - Toms Warnungen ("Ihr künstlicher Mensch, Doktor, hat den Kopf und die Hand eines Untoten.") als "lächerlich" zurückweisend - das Monster im Alleingang auf die Beine. In dieser überstürzten Verzweiflungstat sah er wohl die letzte Chance, Tom und Eireen die Qualitäten seines "Homo Superior" zu demonstrieren - der endgültige Realitätsverlust.
Da im Monster-Kopf aber Finistras Hirn steckt - eine weitere Aktion, die sich jedem Verständnis entzieht -, fällt der Homunculus prompt über seinen Schöpfer her. (Ähnliches gab es übrigens schon in Terence Fishers "Frankensteins Fluch".) Doch der, scheinbar schwer verletzt, ist kurz darauf spurlos verschwunden, nur sein finistraeskes Lachen hallt durch die Gänge von Schloß Mordabrunn. Hat Frankenstein also doch überlebt? Und ist er nun völlig dem Wahnsinn verfallen?
Die größte Streitfrage, die sich bei Dr. Stein in den letzten gut zwanzig Jahren gestellt hat, ist aber eine ganz andere: Ist Hans Paetsch, als Stimme freilich über jeden Zweifel erhaben, eine Fehlbesetzung? Auf jeden Fall war es eine ungewöhnliche Entscheidung, den Mann mit dem "Märchenonkel-Sound" (so etwa im Nachruf der Fono Forum) einen der Horror-Archetypen schlechthin sprechen zu lassen, und tatsächlich scheint er sich der nötigen Überzeugungsarbeit bewußt zu sein: "Ich bin Dr. Stein. Allerdings." Letzlich ist seine Besetzung aber sogar irgendwie konsequent. Entwickelte sich Boris Karloff, der immer das filmische Synonym für den Frankenstein-Mythos bleiben wird, nicht im Alter zu einem beliebten Rezitator gerade für Kinderschallplatten? Er hatte sogar zeitweise eine eigene Fernsehreihe namens "Storybook Time With Uncle Boris" (!), in der er Märchen vorlas. So wie Karloff von Frankenstein zu den Märchen kam, kam Hans Paetsch von den Märchen zumindest kurzzeitig zu Frankenstein. Innerhalb der "Blutfürsten", in denen alles den Genretraditionen folgt und dennoch alles anders ist, paßt diese Personalentscheidung wie die Faust aufs Auge.
Wie dem auch sei - Mordabrunn ist der in jedem Sinne fragwürdigste Schauplatz der Gruselserie: Der bleibende Eindruck, den das Schloß und seine Bewohner hinterlassen, besteht aus zahllosen Rätseln, Unstimmigkeiten und eben Fragen. Daß Francis mit souveräner Dreistigkeit keine einzige davon beantwortet und diese irrsinnige Geschichte einfach so stehenläßt - vielleicht macht gerade das den Charme der "Blutfürsten" aus. (dl)
 
 
 

 

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© Die Gruselseiten (6. November 2002)